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Das Tier in Weisung und Recht

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  Dieses Thema wollen wir an Hand der Schriften von vier Verfassern behandeln:

 

 

Cranach

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1. Michael Landmann, Das Tier in der jüdischen Weisung, Siehe 1.  
2. Leonhard Nelson, Ausgewählte Schriften, Werke in 9 Bänden, Siehe 2.
3. Tom Regan, The Case for Animal Rights, Tierrechte, Siehe 3.

4.

 

Carl Anders Skriver, Die Lebensweise Jesu und der ersten Christen, Siehe 4.

 

1. Der Philosoph und Anthropologe Prof. Michael Landmann (1913-1984) widmet sich diesem Thema, indem er den Grundlagen jüdischen Tierrechts nachgeht. In seiner Schrift „Das Tier in der jüdischen Weisung“ hat er das zusammengetragen, was als Weisung im Alten Testament und in anderen jüdischen Texten steht. Er spricht der Thora ein Moment des Utopischen zu bei der Abfassung ethischer Leitgedanken für das Tier. Obwohl der Mensch sich vom Sammler über den Jäger zum Ackerbauer entwickelt hat, greift die Thora auf den mythischen Gedanken des Tierfriedens zurück, den Tierjagd verletzt: In Genesis 1,29 f. heißt es daher: „Hier gebe ich euch alles Kraut, das Samen sät, auf der ganzen Erde, und jeden Baum mit samensäender Baumfrucht, euch sei es zur Speise.“ Im Paradiesmythus geht die utopische Vorstellung noch weiter und überschreitet die Grenzen der Einsicht. Obwohl die Beutegreifer auf Fleischnahrung angewiesen sind, ernähren sie sich im Garten Eden vegetarisch: „Und allen Tieren des Feldes, allen Vögeln des Himmels, allem, was auf Erden sich regt, darin lebender Odem ist, (gebe ich) alles Grün der Kräuter zur Speise. Und so geschah es.“ Beim Propheten Jesaja umfaßt der Gedanke des Friedensreiches, in friedloser Zeit gefaßt, Mensch und Tier. Wenn die Völker „ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen“ (Jes 2,4), dann werde Gerechtigkeit eingebürgert sein; „die Wölfe werden bei den Lämmern wohnen“, ein Knabe hütet Kälber, junge Löwen und Mastvieh (Jes 11).
Landmann bleibt nicht bei diesen Visionen stehen, sondern erwähnt auch die noachitische Umkehrung: „Die Genesis läßt den idealen Urzustand erst nach der Sintflut aufhören. Erst den Noachiden wird die Tiernahrung verstattet.“ Alles was lebt, ist jetzt in die Hand des Menschen gegeben, der über die Tiere der Erde, die Vögel des Himmels und die Fische des Meeres eine Herrschaft der Furcht und des Schreckens errichtet. Der Pflanzenkost wird nun Fleisch beigegeben. Das jüdische Religionsverständnis hat dem begehrlichen menschlichen Herzen stattgegeben. Liegt hier ein gewisses Moment von Resignation vor? Gott habe sich darein geschickt, daß „das Dichten des menschlichen Herzens böse ist von Jugend auf“ (Gen 9,2.3; 8,21). Noahs Verhalten fügt sich ein in die Grausamkeit und Prämoralität der Natur und macht überdies die reinen Tiere dem religiösen Opfer verfügbar.Dennoch jüdische Tierethik wird nicht aufgehoben. Sie bleibt ein Teilgebiet der allgemeinen Ethik, die sich dem Schutz der Schutzbedürftigen angelegen sein läßt, zu denen auch die Tiere gehören. Die altbiblische Tierethik differenziert und möchte die Härten aus der Nutzung der Tiere herausnehmen. So kommt die Sabbatruhe gleichfalls den Tieren zugute, zu deren Lasten ebenso nicht die Regenerierung des Bodens durch ein Brachjahr gehen darf. Die Solidarität erfaßt Mensch und Tier: „Du sollst dem Ochsen, der da drischt, nicht das Maul verbinden.“ Animositäten der Menschen untereinander dürfen nicht auf die Tiere übertragen werden. In jedem Fall ist ihnen, wenn sie sich verlaufen oder verletzt haben, wem sie auch gehören mögen, zu helfen. Die Leistung, die ihnen auferlegt wird, muß sich an ihrem Vermögen, ihrer Kraft oder Schwäche ausrichten. Jüdische Tierethik stellt ein Gegensteuern dar gegen die Verletzung strengerer tierethischer Vorschriften durch das Interesse der Menschen in der Tiernutzung. Beim Töten des Tieres, weil die Thora das Quälen von Tieren verbietet, setzt sich Landmann für ein Verbot des betäubungslosen Schächtens ein. Der Mensch soll „in seinem unmittelbaren Verhalten zum Tier Verantwortung an den Tag legen“. Der Klage der gequälten Kreatur gibt Bileams Esel in Num 22,28 Ausdruck: „Was hab ich dir getan, daß du mich geschlagen hast nun drei Mal?“ Michael Landmann, der das Wesen des Menschen anthropologisch auch aus einer Gegenüberstellung von Mensch und Tier erfaßt, bestimmt den Tierschutz aus dem Geiste des Judentums. Sein Mitgefühl mit dem Tier führt ihn aber nicht zum Vegetarismus. Er zitiert die  Propheten, die sich gegen das Tieropfer gewandt haben,  findet aber keine direkten Worte der Kritik an der Opferpraxis der Antike. Allerdings räumt er ein, daß das Christentum, weil es kein Opfer kennt, sich in diesem Punkte auf einer höheren Stufe befindet, die indessen auch schon im prophetischen Judentum erreicht worden ist.  (nach oben)
2. Prof. Leonard Nelson (1882-1927), Philosoph und Pädagoge, vertritt in der Nachfolge von Immanuel Kant und Jakob Friedrich Fries die „Kritische Philosophie“. Er bemüht sich, das Selbstvertrauen zur Vernunft zu stärken. Seine Lehre hat die Rechte und Pflichten zum Inhalt. Bei der Suche nach ethischen Erkenntnissen leitet ihn eine ganzheitliche Vorstellung. Er fühlt sich der sokratischen Methode verbunden und regt zum Selbstdenken an und zur Umsetzung der Ergebnisse in die Praxis. Er betont auch das Recht der Tiere und die Pflicht, es zu beachten.
Nelsons Abwägungsregel macht unter dem ganzheitlichen Gesichtspunkt geltend, daß das Verhalten anderen Personen, Gruppen und auch Tieren gegenüber Aufmerksamkeit zukommt. Die Benachteiligten haben Rechte derart, daß das eigene Interesse durch die Pflicht zur Abwägung eingeschränkt wird. Aus diesem Grunde vertritt er mit Nachdruck das „Recht der Tiere“. Die Beschränkung auf soziale Verpflichtungen unterläßt es, dem leidensfähigen Tier Rechte zuzugestehen. Das Lebensinteresse, das mit Blick auf den Menschen hoch bewertet wird, wird bei Tieren mißachtet. Nelson stellt sich dieser Disproportionalität und willigt in den Vegetarismus ein. Der Mensch habe natürlich ein Recht, sich einem angreifenden Tier gegenüber zu verteidigen. Er habe aber auch zugleich die Pflicht, das Lebensinteresse des Tieres zu bedenken. Pflicht und Recht definiert er wie folgt:

a) „Pflichten entstehen nur durch die Beschränkung der Willkür des Verpflichteten durch die Interessen anderer.“
b) „Das Recht einer Person ist nicht die bloße Befugnis anderer Personen, sondern der Anspruch an andere Personen, ihre Willkür einzuschränken." 

Jede Pflicht ist daher eine gegen Menschen oder eine gegen Tiere. Da das Tier ein Lebensinteresse hat, ist auch die schmerzlose Tötung im Sinne der Abwägungsregel nicht erlaubt. Nelson will diesen Gedanken nicht als altruistisches Prinzip zugunsten der Tiere ansehen, sondern es handelt sich hierbei um ein Gebot der Gerechtigkeit. Seine weitere Argumentation hat den Überlegungen von Tom Regan vorgegriffen. Wir werden sie im nächsten Abschnitt aufgreifen. Von besonderem Interesse ist auch sein Hinweis auf Abstinenz und Vegetarismus, was uns im letzten Abschnitt beschäftigen wird. Zum Abschluß zitiere ich Prof. Grete Henry, die bei Prof. Nelson studiert hat: „Die eigene vegetarische Lebensweise ist heute für mich nicht mehr, aber auch nicht weniger als ein verstandes- und gefühlsmäßig voll bejahtes Signal dafür, daß die Menschen unserer Zeit und Kulturstufe – auch ich selber als einer unter ihnen – im eigenen Umweltverständnis den eigenen  Blick noch weiten müssen, um das Recht der Tiere voll aufzufassen und zu wahren“ (Grete Henry, Leonard Nelson, der Philosoph und Vegetarier).
(nach oben)

3. In dem emeritierten Philosophen und Tierrechtler Prof. Tom Regan (geb.1938) haben die Anliegen der Tierrechtsbewegung, die für ihn ein Teil der Menschenrechtsbewegung darstellt, einen engagierten Vertreter gefunden. Er lehrte Philosophie an der North Carolina State University. Seine Position der Tierrechte ist:
Tiere, die auf vielerlei Weise ausgebeutet werden, haben ein Anrecht auf ihr eigenes Leben, das die Erfüllung seiner Bedürfnisse als Freude empfindet und die Mißachtung als Schmerz. So wie dem Menschen ein eigenständiger Wert zukommt, so anerkennt das Tierrecht in einem empathischen Akt, daß das Tier in seiner Lebenserwartung diesen Wert ebenso fordert. Niemals nur darf der Mensch einzig Mittel sein, sondern sein Leben ist dem Zweck, dem Ziel oder Sinn zugeordnet. Analog will das Tier in seinen Zwecken leben („Respektprinzip“). Der Mensch vermag sich in den Erwartungshorizont des Tieres einzufühlen und gesteht ihm Gerechtigkeit zu. Daher fordert Tom Regan nicht größere, sondern leere Käfige. Einer „absoluten Ungerechtigkeit muss man sich absolut entgegenstellen“. Für das Tier ist daher angesagt, die ungerechte Ausbeutung zu beenden.

Der Tierrechtsbewegung hat Regan „10 Gründe für Tierrechte“ zur Hand gegeben. Sie lauten:
Die Philosophie der Tierrechte ist 1. rational, 2. wissenschaftlich, 3. frei von Vorurteilen, 4. gerecht, 5. eine Philosophie des Mitgefühls, 6. uneigennützig, 7. etwas, das den Einzelnen erfüllt, 8. sozial fortschrittlich, 9. eine Philosophie im Sinne der Umwelt, 10. friedliebend.

Des weiteren möge ein Zitat in englischer Sprache das Charakteristische der Philosophie Prof. Regans beleuchten: „Regans refutes the still current view that the animals we eat, hunt, and experiment on are, in the words of the seventeens-century philosopher Rene Descartes, ‘thoughtless brutes’. They are, rather, sophisticated mental creatures who have beliefs and desires, memories and expectations; who feel pleasure and pain, experience emotions. Like us, animals are individuals who have a value independent of their usefulness to others. And like us, these animals have a basic moral right to be treated in ways that show respect for their independent value.” Regan bezieht auch zum Vegetarismus eine entschiedene Stellung und bringt sie in die Praxis ein: Er ist Veganer und aktiver Tierrechtler. Tierschutz und Tierrechte kommen dem Tier an sich zu. Der Sinn dieser Rechte, worauf auch schon Leonard Nelson hingewiesen hat, ist nicht der Gedanke, dem Menschen den Anblick eines gequälten Tieres zu ersparen, sondern weil sie „Subjekte eines Lebens“ sind, haben sie ein genuines Recht auf ihr Leben. Es gilt Einwendungen zu machen gegen „die schlimmste Sache, die in der Welt passiert“, nämlich gegen das, „was den Tieren angetan wird“. Er ist aber optimistisch, daß die Tierrechtsbewegung voran kommt, „weil viele Hände an vielen verschiedenen Rudern anpacken“, sich gegen das „Elend der Tiere“ wenden und sich mit „ihrem Schmerz, ihrem Leiden“, die der Mensch ihnen zufügt, nicht einverstanden erklären (Melanie Bujok: Tom Regan im Interview).   
(nach oben)         
4. Der Theologe Dr. Carl Anders Skriver (1903-1983) promovierte mit der Arbeit „Die Idee der Schöpfung in der vedischen Literatur“. Schon früh beeindruckten ihn die Reden Gautama Buddhas, so daß er seinen Ernährungsstil änderte. Er arbeitete viele Jahre als ev. Pfarrer, trat der Bekennenden Kirche bei, wurde inhaftiert und Monate später wieder frei gelassen. Nach dem zweiten Weltkrieg widmete er sich dem Vorstellungskreis des Nazoräertums und suchte in Bibel und alten Schriften nach religiös bestimmten Ernährungsrichtlinien. Sein Buch „Die Lebensweise Jesu und der ersten Christen“ ist ein herausragendes Ergebnis der Arbeit an dieser Aufgabenstellung. Die Epoche, in der Jesus lebte, war von Unruhen geprägt, die aus der damaligen geistigen und politischen Situation erwuchsen. Für das in jener Zeit entstandene Christentum hatten die Gemeinschaften der Naziräer, der Essäer, der Therapeuten und der Nazoräer eine prägende Bedeutung. Sie alle verpflichteten sich einem Lebensstil, der von einer gewissen Zurückhaltung, Enthaltung  und Askese bestimmt war. Nach C.A. Skriver sind Naziräer Menschen, die ein Gelübde taten, z.B. abstinent zu leben, welche dann als Geweihte galten, indessen sich aber nicht allein auf Pflanzenkost beschränkten. Die Essäer (Essener) waren strenge Vertreter des Judentums, die in eigenen Kolonien siedelten. Ihr strenger Ordensgeist enthielt die Bestimmung des einfachen Lebens, der Gütergemeinschaft, Enthaltsamkeit von Wein und Fleisch, der gemeinsamen Mahle, Mildtätigkeit u.a. Sie hatten eine „gewisse Ehrfurcht vor dem Leben, das Motiv ihres Vegetarismus“ und verneinten das Tieropfer. Während die Essäer sich auf den bios praktikos festlegten, neigten die Therapeuten bei ähnlicher asketischer Grundhaltung mehr zum bios theoretikos. Sie lebten im Raum Alexandriens und gelten als Vorläufer des christlichen Mönchtums. Den Nazoräern mißt Skriver die größere Bedeutung bei, weil Jesus im Neuen Testament mehrfach der Nazoräer genannt wird, und sie Skrivers Ernährungsideal nahekommen. Um dem Vegetarismus eine größere Überzeugungskraft zu verleihen, beruft sich Skriver auf jüdisch-christliche Texte. Da diese gegenüber der vegetabilen Kost widersprüchlich sind, ist er genötigt, die betreffenden Stellen, die sich mit der Ernährung befassen, genauer zu untersuchen, wodurch ein weiter Bogen durchschritten wird, der hier nur begrenzt nachgezeichnet werden kann. Zunächst weist er auf das Speisegebot in 1. Mose 1,29 hin, welches die vegetarische Ernährung als verbindlich ansieht. Doch nach der Sintflut werden der neuen Welt neue Eßgewohnheiten zugestanden: „Alles, was sich regt und lebt, das sei eure Speise; wie das grüne Kraut habe ich´s euch alles gegeben“ (1. Mo 9,3). Doch diese Bestimmung sei sekundär, sei noachitisch; ihr komme keine Geltung zu. Das Neue Testament führt ebenfalls gegensätzliche Positionen auf. Ein Zeuge des neutestamentlichen Vegetarismus ist Jakobus der Gerechte, ein Bruder Jesu, wodurch nach Skriver belegt ist, daß auch Jesus sich des Fleischgenusses enthalten habe; beide seien Nazoräer. Die erzählten Geschehnisse der Speisung mit Fischen und des Passahmahles, welche dem nazoräischen Ideal widerstreiten, kommen im ersten Fall kosmischen Vorstellungen nach, weil das babylonische Symbol für das Tierkreiszeichen „Fische“ zwei Fische darstellt und sind im zweiten Fall ein Abendmahl mit Brotbrechen im Hause der essäisch-nazoräischen Gemeinschaft am Donnerstag der Woche, während das Passahlamm am Freitag der Woche getötet und verzehrt wurde. Weitere Argumente zugunsten des Vegetarismus, mögen Skrivers Buch selbst entnommen werden. Carl Anders Skriver wählte oft eine prägnante und scharfe Sprache, die nicht auf den hier vorgelegten Text abgefärbt hat. Sein Argumentationszusammenhang erscheint indessen schlüssig. Vielleicht können seine Bücher auch einen Hinweis zur Umweltgestaltung geben, denn der Vegetarismus ist umweltschonend. Er beachtet Tierrechte, den Tierschutz, ist ein  Hemmnis gegen Krankheiten und im Sinne Albert Schweitzers ein Element der ethischen Eschatologie (Geschichte der Leben-Jesu-Forschung). Skrivers Schlußbemerkung in seinem Buch lautet: „Nazoräischer Glaube ist der Glaube, der aktiv die Welt überwindet. Er ist keine Weltflucht und keine Kapitulation vor der Welt. Er ist die größte Utopie, die von Menschen erdacht wurde, die Synthese von Realismus und Idealismus, die letzte Schlußfolgerung, die ethische Eschatologie aus aller Logik und Gerechtigkeit“ (C.A. Skriver, Die Lebensweise Jesu und der ersten Christen, p.140).         
In der hier dargebotenen Erörterung wird zuweilen der Gedanke der Utopie aufgegriffen, welcher auf der Seite Nachwort: einst und jetzt dieser Website explizit zur Sprache kommt. Oft enthält ein utopischer Entwurf Ideale. Friedrich Nietzsche, der sich Jahre seines Lebens von karnivorischer Ernährung fernhielt, bemerkte: Wer sein Ideal erreicht, kommt eben damit über dasselbe hinaus.  
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aktualisiert: 22.03.2011